Wer nur von weitem schaut und auch nur geradeaus, sieht einen roten Balken, der horizontal im Raum schwebt und sich leuchtend aus der eher grauen und dunklen Umgebung der Gleishalle heraushebt. Erst bei näherem Herantreten wird deutlich, dass das scheinbar flache minimalistische Objekt nur eine Illusion ist, die auf der axialen Perspektive sowie auf der Tatsache beruht, dass sich das rote Gebilde genau in unserer Augenhöhe befindet.

Gleichsam auf den Kopf gestellt ist die geläufige Erfahrung, dass ein Bild einen Raum suggeriert, aber sich dann „nur“ als eine bemalte oder mit anderen bildnerischen Mitteln gestaltete Fläche entpuppt. Denn bei Dörner ist das, was zunächst flach schien, in Wahrheit ein räumliches Gebilde mit vier gleich langen Seiten. Aber damit nicht genug, denn wir haben immer noch erfasst, was dieses Objekt „ist“. Wenn wir vor ihm stehenbleiben wie vor einem Bild oder einer traditionellen Skulptur, sehen wir zwar die äußere Form, aber nicht das Innenleben. Das Äußere ist gleichsam die Fassade, durch die beziehungsweise hier unter der hindurch wir hineintreten dürfen, um ins Innere des Gebäudes zu gelangen. Hier befinden wir uns in einem raffinierten Spiegelkabinett, in dem zahlreiche Gläser und zwei Tiere, ein ausgestopftes und ein nur im Bild vorhandenes, ein fragiles Stillleben bilden, das uns nicht zuletzt an die Unsicherheit und Täuschbarkeit unserer Wahrnehmung erinnert.

Michael Dörner hat einen komplexen Illusionsraum errichtet, wobei die Illusion nicht zuletzt darin besteht, zunächst etwas gänzlich Unillusionistisches vorzugaukeln, nämlich ein minimalistisches Objekt, das nicht vorgibt, etwas anderes zu sein als es ist.

Ludwig Seyfarth

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